Interview Stefanie Goldbrich

 

Liebe Stefanie, du hast ein Buch über dein Sternenkind Dominik und die kurze Zeit, die ihr gemeinsam verbringen durftet, geschrieben. Magst du den Lesern, die sich bis jetzt noch nicht mit diesem Thema beschäftigt haben, eine kurze Erklärung der Begriffe „Sternenkind“ und „Regenbogenkind“ geben?

Ja, sehr gern. Ein Sternenkind ist ein Kind, das vor, während oder nach der Geburt stirbt. (Eine ausführlichere Version befindet sich in meinem Blog. ? ) Ein Regenbogenkind hingegen ist ein Kind, das nach einem Sternenkind geboren wird. Es lässt die Seelen seiner Familie heilen.

 

In deinem Buch beschreibst du sehr gefühlvoll und ausführlich den langen Weg bis zur Schwangerschaft, die Schwangerschaft selbst, die Entbindung, die kurze Zeit mit Dominik und die Zeit nach seinem Tod. Wann ist in dir der Wunsch entstanden, deine Geschichte zu veröffentlichen?

Um ehrlich zu sein, der Wunsch ist gar nicht in mir entstanden, sondern war ein Vorschlag von mehreren Freunden. Vollkommen unabhängig voneinander. Ich habe meine Geschichte ursprünglich für meine Familie und mich aufgeschrieben. Zum einen um ein Andenken an Dominik zu haben, in dem ich alle Erinnerungen speichern konnte, damit sie nicht verblassen. Zum anderen wollte ich, dass dieses Schicksal auch noch Generationen später weitergegeben werden kann. Wir wissen so wenig von unseren Vorfahren, welche Schicksale sie erleiden mussten und wie es ihnen damit ging.

Als ich dann stolz erzählte, dass ich alles aufgeschrieben hatte, sagten alle: „Das musst du veröffentlichen. Du kannst so vielen Sternenkind-Müttern damit helfen.“ Da war ich erst einmal schockiert. Ich wollte nicht all meine Gefühle und Gedanken mit der Öffentlichkeit teilen. Nicht mit Fremden und schon gar nicht mit Menschen, die mich kannten. Meine Sorge: Was sollen die bloß von mir denken?

Doch meine Freunde hatten recht. Ich kann Sternenkind-Mamas (und -Papas) in der dunkelsten Zeit ihres Lebens mit meiner Offenheit unterstützen und gleichzeitig mit meiner Geschichte aufklären. So würden auch Nicht-Betroffene mehr über dieses Tabuthema erfahren. Das überzeugte mich letztlich.

 

Mit dieser Veröffentlichung betreibst du gleichzeitig auf deiner Website viel Aufklärung über das Thema Sternenkinder und Sterneneltern. Hast du dich bereits vor Dominik so intensiv damit beschäftigt? Denn du hattest ja bereits vor Dominik einige Schicksalsschläge zu verkraften.

Komischerweise gar nicht. Meine 5 kleinen Sternchen, die mich alle vor Dominik verlassen haben, gingen so früh (zwischen der 6.-11. Schwangerschaftswoche), dass man nichts gesehen hat. Ich trauerte also im Stillen, mit meinem Mann. Nur wenige Freunde wussten von unseren Fehlgeburten. Doch nach Dominik war ein Verheimlichen nicht mehr möglich. Ich trug monatelang gut sichtbar eine riesige Babybauchkugel mit mir herum. Nach dem Tod meines Sohn hörte ich dann von allen Seiten den Begriff Sternenkind. Ich googelte das Wort und stieß auf zahlreiche Artikel und einige Online Foren. Ab diesem Zeitpunkt beschäftigte ich mich damit und tauchte in eine fremde Welt ein, die mir aufgrund der Trauer um meine Sternchen doch erstaunlich bekannt vorkam.

 

Dominik wäre heute sechs Jahre alt. Gehst du oft mit Gedanken wie „wie würde er heute aussehen“, „jetzt würde er in die Schule kommen“ etc. in den Alltag? Oder wird der Alltag zwar immer wieder von Erinnerungen und Gedanken geflutet, die sich mehr auf die viel zu kurzen fünf Tage seines Lebens beziehen?

Ich habe gelernt, Dominik in meinen neuen Alltag zu integrieren. Er lebt zwar nicht mit uns, ist aber stets bei uns. In unseren Herzen und Gedanken. Somit bleibt er für immer mein kleines Baby. Allerdings stelle ich mir tatsächlich bei wichtigen Momenten, wie z.B. erster Kita-Tag, Einschulung, etc., vor, wie es wäre wenn… nur kurz, denn ich weiß, dass das nie eintreten wird.

 

Ihr habt die kurze Zeit mit Dominik intensiv verbracht und auch Valerie durfte ihren Bruder kennenlernen. Würdest du aus heutiger Sicht einige Dinge anders handhaben (ich denke z.B. an das Herausschleichen aus dem Bett, obwohl noch Bettruhe verordnet war) oder würdest du alles wieder genauso machen?

Ohne das Wissen, das ich heute habe, würde ich alles wieder genau so machen. Mit dem Wissen von heute würde ich noch so viel mehr machen. Vor allem Erinnerungen schaffen. Gute Fotos machen lassen, Videos drehen, mir eine Haarsträhne abschneiden, mir seinen Bauchnabelrest geben lassen und so viel. Damals kam sein Tod so plötzlich, dass ich überhaupt nicht klar denken konnte.

 

Gibt es Tipps, die du anderen Eltern, die in eine ähnliche Situation kommen, gern mitgeben würdest?

Ja, unbedingt. Nehmt euch die Zeit, Abschied von eurem Kind zu nehmen. Das ist so wichtig für die Trauerbewältigung. Ist das Kind erst einmal beerdigt, ist es zu spät. Damit haben viele Sterneneltern in meinem Umkreis zu kämpfen. Und schafft euch Erinnerungen, solange das Kind noch bei euch ist. Es gibt z.B. ehrenamtliche Sternenkind-Fotographen, die kommen innerhalb weniger Stunden nach Kontaktaufnahme. Solche Bilder hätten mir unglaublich geholfen. Ich wusste jedoch nicht, dass es sie gibt.

Ansonsten reden, reden, reden. Auch wenn ein Baby sehr jung verstirbt, nimmt es mit dem positiven Schwangerschaftstest einen Platz in den Herzen der Menschen ein. Warum sollte man nicht über es reden? Nennt seinen/ihren Namen, holt euch Hilfe, um diesen Verlust zu verarbeiten, und schaut wieder positiv in die Zukunft. Euer Sternenkind hätte nicht gewollt, dass ihr dauerhaft traurig seid.

 

Ihr hattet, auch im Nachhinein, sehr intensiven Kontakt zu den Ärzten. Hast du von ähnlichen Erfahrungen anderer Betroffener gehört, oder ist dieser Kontakt eher die Ausnahme gewesen? Und wie wichtig war dir dieser Kontakt?

Das stimmt, der Kontakt zu Dominiks und meinem OP-Arzt war relativ eng. In der Tat habe ich das von keiner anderen Sternenmama gehört. Und wenn ich davon berichtete, wurde ich oft gefragt, warum ich das überhaupt alles wissen wolle. Jeder Mensch trauert eben anders. Jeder muss seinen Weg finden. Ich bin, wie du gelesen hast, ein Kopfmensch. Ich musste all die Möglichkeiten selbst in meinem Kopf durchspielen. Dafür brauchte ich Antworten. Mit Vielleichts wäre ich kein Stück vorangekommen. Daher war mir der Kontakt zu den Ärzten sehr wichtig.

 

Gibt es ein Netzwerk, in dem sich Sternenkindeltern vernetzen und austauschen können?

Damals, nach Dominiks Tod, schloss ich mich einer geschlossenen Facebook-Gruppe für Sterneneltern an. Die gibt es heute noch und wächst weiterhin zusehend. Das ist gut und bedauerlich zu gleich. Hier können wir Sterneneltern uns austauschen und offen Dinge ansprechen, die „draußen“ tabu sind. Jeder wird aufgefangen und fühlt sich so nicht allein.

Auf Instagram gibt es viele Sternenkind-Mamas, die öffentlich über ihre Geschichte schreiben. Hier kann man sich ebenfalls auf eine anonyme Weise austauschen und Betroffene kennenlernen.

Für einen echten Kontakt mit anderen Betroffenen empfehle ich, eine Selbsthilfegruppe und/oder einen Sternenkinder-Verein aufzusuchen. In den letzten 5 Jahren sind in ganz Deutschland so viele gegründet worden, dass jeder Angebote findet, wenn er bereit dazu ist. Ich selbst unterstütze den Verein Unsere Sternenkinder Rhein Main e.V., der 2019 gegründet wurde. Das war zwar für mich zu spät, aber für viele andere Betroffene genau richtig.

Zum Glück hatte ich meine Trauermädels, die ich im Rückbildungskurs „Leere Wiege“ kennenlernte. Wir waren alle schwanger, brachten alle unsere Kinder zur Welt und mussten sie alle gehen lassen. Gegenseitige Blicke und Berührungen reichten oftmals aus, um uns verstanden zu fühlen. Aber wir redeten auch viel.

 

Du bist, entgegen aller Planungen, nach Dominiks Tod nochmal schwanger geworden und hast ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Ist eure Familienplanung damit endgültig abgeschlossen, oder habt ihr eure Pläne nochmal über den Haufen geworfen?

Als erstes möchte ich sagen, dass man diese Frage besser keiner Sternenkind-Mama stellt. Zumindest nicht, wenn sie nicht zum engeren Freundeskreis gehört. Die Frage löste auf Social Media schon so einige Wellen an Empörung aus. Schließlich weiß man nie, wie tief die Wunden bei den Frauen sind.

Aber du hast Glück, ich bin eine der wenigen, die diese Frage nicht schlimm findet. Denn auch dieses Thema trägt m.E. zur Aufklärung bei. Daher beantworte ich sie gern.

Wie du in meinem Buch gelesen hast, passen die Worte Kinderwunsch und Planung bei meinem Mann und mir nicht zusammen. Ich setzte die Pille mit dem Wunsch, ein Kind zu bekommen, an meinem 25. Geburtstag ab. Mit 30 wollten wir die Familienplanung beendet haben. Meine Tochter, mein erstes lebendes Kind, wurde geboren, als ich bereits 31 Jahre alt war. Nichts folgte irgendeinem Plan. Dass unser Jüngster (inzwischen 4,5) so unerwartet zu uns stieß, war ein sehr großes Geschenk. Hätte es noch eins gegebenen, wären unsere Arme weit geöffnet gewesen. Schließlich habe ich nie wieder die Pille genommen oder anders verhütet. Bis heute nicht. Und dieses Jahr bin ich 40 geworden. Ich gehe also nicht davon aus, dass es noch einmal passiert. Ich bin davon überzeugt, dass mir Dominik seinen kleinen Bruder schickte, damit ich all die angestaute Liebe, die für ihn bestimmt war, weitergeben konnte. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

 

Und zu guter Letzt: gibt es etwas, das du deinen Lesern noch mitteilen möchtest?

Oh ja, vieles. Aber ich versuche mich kurzzuhalten. Bitte verschließe die Augen nicht, wenn jemand sein Kind verliert. Es ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Und selbst wenn du nicht mit der Situation umgehen oder mit der betroffenen Person reden kannst, kannst du sie z.B. so unterstützen:

  • Schicke ihr einen Hinweis, dass es Sternkinder-Fotografen und Sternenkind-Vereine gibt
  • Schicke ihr mein Buch, dass ihr durch die dunkle Zeit hilft
  • Schicke ihr Infos zum Sternenband, das Erkennungszeichen für Sterneneltern
  • Schicke ihr eine Karte mit tröstenden Worten
  • Lies selbst mein Buch, um zu erfahren, wie es einer Sternenkind-Mutter geht und was du noch alles tun kannst, um ihr zu helfen

Falls du selbst betroffen bist, probiere lieber zu viele Aktivitäten zur Trauerbewältigung aus als zu wenige. Du wirst merken, was dir guttut und hilft. Je eher du deine Trauer verarbeitest, desto eher kannst du wieder nach vorne blicken. Mit deinem Kind im Herzen.

 

Ich danke dir herzlich für dieses Interview und wünsche dir und deiner Familie von Herzen alles Gute!

Ich habe zu danken. Ich bin für jeden Menschen dankbar, der sich traut, über dieses Tabuthema zu berichten. Daher TAUSEND DANK an dich, liebe Claudia!!! Auch ich wünsche dir alles Gute und vor allem Gesundheit.

 

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